Prof. Dr. Helmut Reichling zu Themen von gestern, heute und morgen
aktualisiert am: 09.11.2020
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Die Geschichte von St. Martin
Am 11.November ist der Gedenktag des Marin von Tours, allgemein als Sankt Martin bekannt.
An diesem Tag werden in katholischen Gegenden jährlich Laternenumzüge fürKinder veranstaltet
Manche mögen die Heiligenverehrung als ein überholtes Relikt
einer unaufgeklärten kindlichen Religiosität sehen.
Doch das ist
sie bestimmt nicht.
Aus der Verhaltensforschung wissen wir, dass der Mensch viel
schneller und gründlicher Dinge lernt, die er sich an Vorbildern abschaut, als
durch eigene Erfahrung oder durch abstrakte Bücher und Schriften.
Daher dienen die sogenannten Heiligen auch heute noch als
nachahmenswerte Vorbilder und Modelle für ein wertorientiertes Leben.
So auch Martin von Tours, um den es hier gehen soll.
Das Leben dieses Mannes ist historisch sehr gut überliefert.
Der römische Historiker Sulpicius Severus, der Martin noch persönlich kannte
und als Assistent begleitete, hat kurz nach dessen Tod eine Biographie
verfasst, die bis heute als zeitgenössische Quelle dient.
Der spätere Heilige war der Sohn eines römischen Militärtribuns,
also eines hohen Stabsoffiziers, und wurde um das Jahresende 316 n. Chr. in Savaria
in Pannonien, dem heutigen Ungarn geboren. Er trug den lateinischen Namen
Martinus. Ein Name, der sich vom römischen Kriegsgott Mars ableitet und ein
Beleg für die militärische Ausrichtung der Familie ist.
In Pavia, der Heimatstadt seines Vaters, verbrachte Martinus
seine Jugend und kam dort im Alter von zehn Jahren mit dem Christentum in
Kontakt, dessen Verpflichtung zur Nächstenliebe er auch als Soldat übernahm.
Wie sein Vater wurde er Offizier und diente in der Leibwache des Kaisers
Konstantin II.
Mit 34 Jahren wurde Martinus Ostern 351 vom Bischof Hilarius in
Pictavium, dem heutigen Poitiers, getauft. Die Erwachsenentaufe war damals
durchaus üblich, obwohl die Christen seit 311 im römischen Reich nicht mehr
verfolgt wurden.
Nach 25-jähriger Dienstzeit nahm Martinus im Jahr der Taufe
seinen Abschied als Offizier. Die Eindrücke zahlreicher Schlachten und Gefechte
waren an ihm nicht schadlos vorübergegangen. Er zog sich auf die Insel
Gallinara bei Genua zurück.
Martinus muss eine sehr beeindruckende und charismatische
Persönlichkeit gewesen sein, denn bald folgten ihm viele Anhänger auf die Insel.
Doch schon bald verließ er seine Einsiedelei wieder und reiste zu seiner alten
Mutter nach Pannonien.
Nach dem Tod der Mutter kehrt er nach Gallien zurück, wo er
die meiste Zeit seines Militärdienstes verbracht hatte. Auch dort versammelte
sich wieder eine große Anhängerschar im ihn. Vielleicht auch der eine oder
andere seiner ehemaligen Soldaten, die vom Kriege müde, die Nähe ihres ehemaligen
Vorgesetzten suchten. Mit ihnen zusammen errichtete Martinus 361 im heutigen
Ligugé (in der Nähe der heutige Stadt Portiers) das erste Kloster des
Abendlandes. Hier konnte er wieder seinem alten Lehrer und Vorbild Bischof
Hilarius nahe sein.
Martinus war als Glaubensbote überaus erfolgreich. Dank
seines entschlossenen und gewinnenden Auftretens überzeugte er schnell die
Bewohner, insbesondere die Landbevölkerung, von der christlichen Lehre.
Die Menschen suchten in der gesamten Touraine seine Nähe als
Ratgeber und Nothelfer. Überall ließ Martinus Kirchen und Klöster errichten.
Am 4. Juli 372 wurde Martinus zum Bischof von Caesarodunum,
dem heutigen Tours, geweiht.
Drei Jahre später gründete er in der Nähe von Tours ein
weiteres Kloster. Dabei lernte er Liborius, Bischof von Suindinum, dem heutigen
Le Mans kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Als Liborius
starb erteilte ihm Martinus das Sakrament der Krankensalbung („letzte Ölung“)
Bischof Martinus wurde bald eine große Nummer, wie man es
heute ausdrücken würde. Er war am Kaiserhof in Trier zugelassen und gemeinsam
mit Bischof Ambrosius von Mailand und Papst Siricius widersetzte er sich selbst
dem Kaiser, wenn es ihm nötig schien.
Martinus starb am 8. November 397 im Alter von 81 Jahren in dem
von ihm gegründeten Kloster Candia, heute Candes St. Martin. Er wurde unter
großer Anteilnahme der einfachen Bevölkerung und zahlreicher hoher Würdenträger
in die Kirche seines Bischofsitzes überführt.
Doch weit bekannter als das Leben dieses ehemaligen Offiziers
und Kirchenmannes ist eine Geschichte, die uns auch von Sulpicius Severus
überliefert ist:
Ab dem Jahr 334 war Martinus als Optio (Leutnant) der
kaiserlichen Grade zu Pferd in Ambianum, dem heutigen Amiens, zugeteilt. Als er
abends von einem herbstlichen Kurierritt in den Ort zurückkehrte, sah er am
Stadttor einen unbekleideten Mann. Martinus trug die Uniform eines kaiserlichen
Reiteroffiziers. Dazu gehörte über dem Panzer die sogenannte Chlamys, ein weiter
Überwurf aus zwei Teilen, der im oberen Teil mit Schaffell gefüttert war.
Da Martin außer seiner Waffe nicht Wertvolles bei sich trug, nahm
er sein scharfes Kurzschwert, zerteilte diesen Mantel und gab ihn dem nackten
Bettler.
Was in der Nacht geschah, schilderte Martin selbst seinem
Freund Sulpicius und die Geschichte erscheint mir ebenso glaubhaft wie auch aus
der menschlichen Psyche erklärbar: Vom langen Ritt ermüdet, legte sich Martin
nieder und war schon bald fest eingeschlafen. Im Traum sah er seinen
durchtrennten halben Mantel wieder, aber nicht der nackte Bettler vom Stadttor
war in ihn gehüllt, sondern Jesus Christus selbst.
Nicht historisch gesichert ist die Legende, dass Martin,
nachdem er seine wertvolle Uniform ruiniert hatte, einen neunen Mantel aus der
Kleiderkammer der Legion zugeteilt bekam. Weil er aber sehr groß gewachsen war,
und -Strafe muss sein - der Unteroffizier in der Kleiderkammer nicht auf die
Größe achtete, waren die Ärmel des neuen Mantels viel zu kurz. Um Martin das
lächerliche Aussehen zu ersparen, seien während eines Gebetes Engel zu ihm
getreten und hätten die Ärmel verlängert. Leutnant Martinus war ein
gutaussehender Mann, und scheinbar hat fast jede Legende hat einen wahren Kern.
Sogar ein „Wunder“ des heiligen Martin berichtet Sulpicius
Severus. Als Bischof habe Martin einen mit ihm befreundeten Mann, der
verstorben und schon seit Stunden im Sterbezimmer aufgebahrt war, wieder von
den Toten erweckt. Die Schilderung der Maßnahmen des Bischofs sind derart detailliert
und beschreiben uns seine Handlungen eher medizinisch als religiös, so dass
dieser Bericht durchaus auch der Analyse der heutigen Medizin standhalten
könnte. Sulpicius Severus war Augenzeuge dieses „Wunders“ und kannte den
„Erweckten“ persönlich. Seine Schilderung muss auf jeden Fall als subjektiv
glaubhaft gelten.
Viel bekannter ist die Geschichte von der Berufung Marins zum
Bischof von Tours viele Jahre füher. Er hatte nach der langen und gefährlichen
Militärzeit ein Leben in Abgeschiedenheit von der Welt führen wollen. Die
verantwortungsvolle Position eines Bischofs passte dabei gar nicht in seinen
persönlichen Lebensentwurf. Also versteckte er sich in einem Gänsestall. Durch
das laute Geschnatter des Federviehs wurde man allerdings auf ihn aufmerksam
und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich seiner Bestimmung zu fügen.
Noch heute kennen wir den Spruch: „Weil die Gänse haben Sankt
Martin verraten, werden sie an Sankt Martin gebraten.“
Damit der neue Bischof nicht gleich wieder das Weite suchen
konnte, begleite ihn die Bevölkerung noch in der Nacht zur Kirche und führten im
Zug Fackeln und Laternen mit. Diese erste Lichterprozession, die alle Beteiligten
als sehr stimmungsvoll empfunden haben, wurde bei der Beisetzungsfeier des
Bischofs wiederholt und scheint der Ursprung der Martinsumzüge an seinem
Namenstag zu sein.
Die Grablege des Heiligen wurde im Laufe der Jahrhunderte zu
einer wichtigen Pilgerstätte. Dort wurde in einem Seitenschiff der Kirche auch
der halbe Mantel des St. Martin, die Capa, aufbewahrt. Capa war die
mittelalterliche Bezeichnung für die römische Chlamys, den Reitermantel. Bald nannte man dieses Seitenschiff „die
Kapelle“ und so leitet sich von St. Martins Mantel der Ausdruck Kapelle ab. Auch
der Name des französischen Königsgeschlechtes der Capetinger geht auf diesen
Mantel des heiligen Martin zurück.
Martin ist der erste Heilige, der nicht als Märtyrer
gestorben ist.
Zu seiner Zeit gab es allerding noch keine offizielle
Heiligsprechung durch die Kirche.
St- Martin gilt als Schutzpatron der Reiter, der Hufschmiede,
der Weber und der Bettler
Er ist der Schutzpatron Frankreichs.