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Prof. Dr. Helmut Reichling  zu Themen von gestern, heute und morgen
aktualisiert am: 01.05.2020

 

 

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Der bucklige Anton

 

 

Die Parkbrauerei und die alte Sage vom buckligen Anton

Seit dem April des Jahres 2020 fressen sich die Abrissbagger in Zweibrückens alte Parkbrauerei. Während ich dies schreibe stehen die historischen Gebäude aus dem Jahr 1888 zwar noch und auch die in den Kreuzberg hineingebauten alten Eis- und Bierkeller.

Doch der Park hinter dem Brauereigelände, der 1830 vom königlich-bayrischen Forstrat Carl Kröber mit seltenen, aus dem Ausland angeschafften Sämlingen wertvoller Baumsorten angelegt wurde und der Brauerei ihren Namen gab, ist bereits größtenteils vom Investor abgeholzt worden, um für Wohnblocks Platz zu machen.

Bald wird die ganze Parkbrauereiin Zweibrücken Geschichte sein.

 

 

 

 

 

 

Damit aber eine alte Erzählung aus dem Sagenschatz meiner Heimatstadt nicht verloren geht, sollte sie hier schriftlich festgehalten werden.

Es ist die Geschichte vom „buckligen Anton“.

Auf dem Gelände der Parkbrauerei befand sich im 15.Jahrhundert das „Kloster der Reuerinnen“.

Dieser Orden der „Reuerinnen“, auch Magdalenenorden genannt, war um das Jahr 1044 als Zuflucht für „Frauen mit Vergangenheit“ ins Leben gerufen worden. Die Klostergründung in Zweibrücken erfolgte vermutlich bereits um das Jahr 1239.

Dieses Kloster muss sehr wohlhabend gewesen sein, denn die Grafen von Zweibrücken wendeten ihm zahlreiche Schenkungen zu. Die Ordensgemeinschaft war so reich, dass ihr sogar mehrere Güter in der Ostpfalz und Teile des Hornbacher Klosters gehörten.

Graf Eberhardt von Zweibrücken, ein Saarländer, fühlte sich den Nonnen, oft sogenannte gefallene Mädchen, in besonderer Weise verbunden und beschenkte den Konvent mit Thaleischweiler und Sippersfeld.

Nachdem die pfälzischen Wittelsbacher Zweibrücken erworben hatten, wurde das ursprüngliche Kloster vom Marienstein in die Nähe der Stadt umgesiedelt. Die einen sagen, weil das lockere Treiben im Kloster Herzog Stephan ein Dorn im Auge war, andere meinen es waren eher wirtschaftliche Gründe, warum er im Jahr 1410 das Kloster verlegen ließ.

Das neue Reuerinnenkloster wurde auf dem Gelände der heutigen Parkbrauerei errichtet. Daher auch der Name Kreuzberg. Sicher wurde im Kloster auch Bier gebraut, denn im 15.Jahrhundert war Bierbrauen „Frauensache“.

Als 1445 außer der Priorin keine Nonne mehr im Kloster lebte, liest Herzog Stephan das Kloster schließen und veräußerte das Grundstück.

Mein Großvater, der von den dreißiger bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts Direktor der Parkbrauerei war, wusste noch zu berichten, während des Umbaus der Werkstadt im unteren Teil des Geländes, sei man bei Ausschachtungsarbeiten auf mehrere Skelette gestoßen. Die daraufhin alarmierte Kriminalpolizei habe jedoch festgestellt, es handele sich um sehr alte menschliche Gebeine.

Daraufhin wurde die Denkmalschutzbehörde hinzugezogen, die diese Anlage als Reste des klösterlichen Friedhofes beschrieb.

 

Was war im Laufe der Jahrhunderte aus dem Grundstück der Reuerinnen geworden?

Noch im Jahre 1740 konnte nachweislich am Zweibrücker Kreuzberg Hopfen geerntet werden.

Schon lange bevor sich 1888 die „Parkbrauerei Zweibrücken, vormals Schmidt-Jacoby“ mit der Pirmasenser Brauerei „Zum Park“ zur Aktiengesellschaft „Parkbrauereien Zweibrücken-Pirmasens vereinigten, brauten die Zweibrücker auf diesem Gelände Bier.

Bereits im Jahr 1853 gründeten die Gebrüder Schmidt in der Hofenfelsstraße, damals noch Auerbacher Straße, eine Brauerei und nutzen dabei die dortigen, bis zum heutigen Tag bestehenden alten Felsenkeller.

Nachdem sein Bruder verstorben war, verpachtete der gesundheitlich angeschlagene Jacob Schmidt die Brauerei „Zum Park“ 1884 an die Herren Busch und Neidhardt.  Der Bierbrauer Busch wanderte jedoch schon bald in die USA aus. Der kranke Jacob Schmidt führte das Unternehmen kurze Zeit weiter, verkaufte aber schließlich seine Brauerei an Philip Jacobi. Dieser fusionierte 1888 mit dem Pirmasenser Jacob Seitz.

Unsere Geschichte beginnt um 1882 in der Brauerei „Zum Park“.

Sie war damals wegen ihrer hervorragenden Biere sehr bekannt. Man experimentierte schon früh mit dem Verfahren der Pasteurisierung und konnte so ein Bier von gleichbleibend guter Qualität brauen.

Verantwortlich für das Braugeschehen war ein Braumeister mit dem Vornamen Anton. Den Nachnahmen konnte ich leider bislang nicht in Erfahrung bringen. Es wird berichtet, er habe im Krieg von 1870/71 ein Bein verloren.

Anton, ein anerkannter Fachmann, war bei seinen Mitarbeitern sehr beliebt und galt allgemein als der „gute Geist“ der Brauerei. Wegen seines Holzbeins hörten man immer schon von weitem, wenn sich der Braumeister näherte.

Bis sich eines Tages ein grässlicher Unfall ereignete:

Bei den Brauverfahren der damaligen Zeit musste während des Brauens der schwere kupferne Deckel der Sudpfanne angehoben werden. Dies geschah mit Hilfe von Ketten über dem Kessel.

Traditionsgemäß begutachtet der Braumeister den Sud und spricht dabei von alters her den Segen mit den Worten: „Gott gebe Glück und Segen drein.“

Gerade als Anton unter einem derart geöffneten Kesseloberteil stand, stürzte, ob aus Unvorsichtigkeit eines Brauers oder weil ein Kettenglied gerissen war, der Deckel herab.

Dem Braumeister wurde der Kopf abgerissen.

Das war für alle ein schlimmes Unglück, der Tod des wackeren Mannes wurde von seinen Freunden und Kollegen allgemein bedauert.

Auf einmal fehlte die „Seele der Brauerei“.

Um die Existenz des Unternehmens nicht zu gefährden, beschlossen die Inhaber, die ganze Angelegenheit geheim zu halten. Auch wenn der angesetzte Sud nicht mehr verwendet und der Braukessel gereinigt wird, so müssen wir davon ausgehen, dass jeden Biertrinker ein Grausen erfasst, sobald er weiß, dass hier ein menschlicher Kopf verkocht ist.

Die Augenzeugen des Unfalls waren im eigenen Interesse zu strengstem Stillschweigen verpflichtet.

Anton starb noch recht jung und hatte keine Familie. Sein kopfloser Leichnam wurde auf Kosten des Unternehmens auf dem Zweibrücker Friedhof beigesetzt. Sein Grab lässt sich heute nicht mehr auffinden.

Die Brauerei hatte nun keinen Braumeister mehr und die Stimmung unter den Mitarbeitern war mehr als gedrückt. Auch die beiden Pächter Busch und Neidhardt standen unter dem Schock der Ereignisse. Sie kündigten den Pachtvertrag. Busch wanderte zu seinem Onkel in die USA aus, der in St. Louis die „Bavarian Brewery“ gegründet hatte, die sich später zur weltgrößten Brauerei Anheuser- Busch entwickelte und der heute noch August Busch IV. als CEO vorsteht.

Doch damit ist die Geschichte von Braumeister Anton aber noch lange nicht zu Ende.

Schon bald nach dem unglücklichen Ereignis, so wird erzählt, hätten die Brauer des Nachts in den Gärkellern und den Eisstollen die Schritte eines Mannes mit Holzbein vernommen.

Die Altgedienten erkannten sofort die Schritte „ihres“ guten Braumeisters Anton.

Schon bei der Fusion der Brauereinen erzählte Philip Jacoby seinem neuen Compagnon Jacob Seitz in der Zweibrücker Brauerei gehe ein Gespenst um: Der Geist des auf tragische Weise ums Leben gekommenen Braumeisters Anton, der immer noch in den Räumen spuke, wohl auf der Suche nach seinem abgetrennten Kopf, ohne den er beerdigt worden sei.

Im Laufe der Zeit gab es wohl keinen Mitarbeiter der Brauerei, der nicht schon einmal bei der Nachtschicht die typischen Schritte des Geistes gehört hatte, und nicht wenige versicherten, sie hätten das Gespenst auch mit eigenen Augen gesehen: Einen gebückten Mann mit Holzbein ohne Kopf.

Bei den Brauern verbreitete sich recht rasch der Name für das Gespenst „der bucklige Anton“.

Über die Jahrzehnte bis in unsere Zeit wurde die Geschichte vom „buckligen Anton“ weitererzählt und ich selbst habe noch mit vielen ehemaligen Brauern gesprochen, die den Geist gesehen oder zumindest seine typischen Schritte gehört haben wollten.

Der „bucklige Anton“ galt aber nicht als erschreckendes Gespenst, sondern die Leute dieser Traditionsbrauerei sahen in ihm den „guten Geist“ der Brauerei. Er soll auch bei verschiedenen Gefahren Mitarbeiter gewarnt haben.

Besonders oft wird die Geschichte erzählt, der bucklige Anton sei am 29. November und am 27. Dezember 1944 nachts durch die Brauerei gegeistert. Am nächsten Tag erfolgten Bombenangriffe auf Zweibrücken.  In der Nacht des 13. März war er ebenfalls sehr aktiv, und die Arbeiter in der Brauerei daher nervös. Die Schutzräume wurden hergerichtet, so dass bei dem großen Angriff am 14. März, bei der auch Bomben auf die Parkbrauerei fielen und zahlreiche Gebäude zerstörten, keine Toten zu beklagen waren. Die Leute sagten damals, der „bucklige Anton“ habe die Bomben in den Park abgelenkt wo bis zum heutigen Tag wohl noch zahlreiche, nicht geräumte Blindgänger liegen.

Nach dem Krieg hatte die Brauerei Handwerker für alle Bereiche, nicht nur Brauer, sondern auch Schlosser, Zimmerleute, Maler und Installateure, sogar einen Sattler für die Geschirre der Pferde, die es damals noch gab. Viele Mitarbeiter wohnten in den Werkswohnungen in der Dinglerstrasse neben dem Betrieb. Der Braumeister und der Brauereidirektor hatten ihre Wohnung im Werksgelände.

Als Kind durfte ich häufig bei meinen Großeltern in der Brauerei übernachten, die nur wenige Fuß-Minuten von meinem Elternhaus entfernt war.

Eines nachts hörte ich im Speicher über meinem Zimmer eigenartige Geräusche. Es hörte sich an als ob ein Mann mit Holzbein langsam den Speicher entlang ging. Ich wunderte mich darüber und teilte am nächsten Morgen meinem Großvater mit, was ich erlebt hatte. Daraufhin erzählte er mir die Geschichte vom „buckligen Anton“.

Neugierig geworden, fragte ich bei meinem kindlichen Rundgang durch die Brauerei die Arbeiter, die ich alle gut kannte, nach dem Gespenst. Sie bestätigten die Geschichte meines Großvaters und nicht wenige schworen Stein und Bein, sie hätten das kopflose Gespenst schon mit eigenen Augen gesehen.

Viele Jahre später wurde ich nochmals an diese Geschichte erinnert, als ich in meiner eigenen Firma den Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes traf, der auch als Nachtwächter in der Parkbrauerei seine Kontrollrunden drehte. Er erzählte, wie unheimlich es immer für ihn sei, durch die alten Räume der historischen Gebäude im hinteren Teil der Brauerei zu gehen. Obwohl alle Türen sorgfältig verschlossen seinen, glaubte er bisweilen Schritte zu hören: „Wie von einem mit einem Holzbein“.

Im Eiskeller glaubte er sogar eine bucklige Gestalt gesehen zu haben, die aber verschwand als er sich mit der Taschenlampe näherte.

Sicher gibt es in Zweibrücken noch betagte ehemalige Mitarbeiter der Parkbrauerei denen die Sage vom „buckligen Anton“ nicht unbekannt ist.

Vielleicht haben auch einige der Mieter der alten Brauereigebäude in den letzten Jahren Schritte eines Holzbeins gehört oder eine bucklige Gestalt gesehen, ohne die Geschichte zu kennen.

Das würde mich sehr interessieren.

Jetzt wird die Parkbrauerei abgerissen, auch die historischen Gebäude, die älter sind als manches erhaltenswerte Baudenkmal in Zweibrücken.

Die Parkbrauerei wird bald Geschichte sein. Der „bucklige Anton“ ist in kürze heimatlos.

Aber vielleicht taucht er irgendwo wieder auf und sucht weiter nach seinem Kopf.

 

Quellen:

Becker, A.: Zweibrücken, Zweibrücken 1917

Haibach, A.; Brauereien und Gastwirtschaften im 19.Jahrhundert; in Glück-Christmann (Hg.): Zweibrücken 1793 bis 1918, Blieskastel 2002

Lehmann, J.G.; Vollständige Geschichte des Herzogthums Zweibrücken; München 1867

Parkbrauerei AG: Festschrift 50 Jahre Parkbrauerei; Berlin 1938

Parkbrauerei AG: Festschrift 75 Jahre Parkbrauerei, Wiesbaden 1963

Zimmermann, M.: www.alt-zweibruecken.de abgerufen am 30.04.2020

Sowie zahlreiche mündliche Überlieferungen