Prof. Dr. Helmut Reichling zu Themen von gestern, heute und morgen
aktualisiert am: 13.07.2017
So könnte es gewesen sein.....
Ein Beitrag zum postfaktischen Zeitalter oder „die Wahrheit über die Reformation“.
Spätherbst des Jahres 1510.
Die Sonne brütete nicht mehr so
stark über der Stadt Florenz wie noch
einige Wochen zuvor.
Dennoch standen die großen Fenster im ersten
Stock des Bankhauses
in der Via Ursazzura weit offen und ein kühlender Wind
wehte
zwischen den Vorhängen hindurch.
Die Gemüter der anwesenden Herren
– alle erfahrene und im Laufe
der Jahre ergraute Bankiers – waren erhitzt und
es entstand
der Eindruck eines drohenden Gewitters, wie es sich nach
einem
überaus schwülen, hitzigen Tag nicht selten einzustellen pflegt.
Auf dem großen Eichentisch in der
Mitte des weiträumigen Saales, von dessen Wänden die Medici- Bankiers
vergangener großer Zeiten in ihren dunklen Gemälden kühl und kritisch
herabsahen, waren Papiere ausgebreitet.
Wie die Feldherren am Rande des
Schlachtfeldes, die auf der Landkarte Einheit um Einheit und Korps um Korps vom
Feinde geschlagen und ausgelöscht sehen, saßen die Bankiers über den
Schriftstücken.
Das Herzogtum Burgund, ein
wichtiger Kreditnehmer war praktisch aufgelöst. Die Kredite waren notleidend
und mussten vollständig abgeschrieben werden. Das Bankhaus der Medici in Brügge
war nicht mehr zu halten und wurde geschlossen. Die Bankhäuser in Venedig und
Mailand waren bereits in der Abwicklung. Lyon und London konnten sich dank
tüchtiger Direktoren vor Ort gerade noch so halten.
Mit einem Wort, die Medici-Bank
und damit das gesamte Bankwesen südlich der Alpen war in der Krise. Es drohte
eine Finanzkatastrophe ungekannten Ausmaßes, durch die blühende Städte und Kleinstaaten
in den Abgrund gerissen würden. Nicht
das Italien der Renaissance, das Rom des Papstes würde bald der Mittelpunkt der
Welt sein, sondern das bäurische, ungebildete und rohe Volk zwischen Alpen und
der Nordsee, die damals die Bezeichnung deutsches Meer trug.
Die Herren am Tisch hatten die
Ursache der Bankenkrise bald ausgemacht.
Der Schuldige war der große Konkurrent aus dem
Norden: Das Bankhaus Fugger.
In selben Maße wie die südlichen
Banken an Einfluss verloren, waren die Fugger aufgestiegen.
„Das freie Kapital der Fugger-Bank beträgt
nach uns vorliegenden gesicherten Angaben rund zwei Millionen Gulden. In den
letzten Jahren betrug der jährliche Gewinn über 50 Prozent.“ rief der
graubärtige Gomosi Ursetti vom oberen Ende des Tisches in die Runde.
Während wir unsere Kapitalien an italienische
Fürsten und venezianische Handelshäuser, an den Papst und seine Kardinäle
verschwendet haben, konnten die Fugger mit dem Kaiser den dicksten Kreditfisch
an Land ziehen.“
Die anwesenden Herren nickten
beipflichtend.
„Die Kredite an den Kaiser sind
auch nicht risikofrei“, fuhr Ursetti fort, „doch haben die Fugger ein
raffiniertes System zur Kredit- und Zinssicherung eingeführt. Die Erträge aus
dem Ablasshandel werden von den Fuggern eingezogen und gemeinschaftlich mit
Beauftragten der Kirche verwaltet. Überall wo ein Ablassprediger auftaucht sind
auch gleich die Buchhalter der Fugger mit dabei. Sie zeichnen alle Einkünfte
auf und nehmen sich ihren Anteil, bevor der Rest weiter überwiesen wird. Man erzählt
auch glaubwürdig, dass die Kiste mit den Einnahmen zwei Schlösser habe, deren
einer ein Kirchenmann verwaltet, den anderen hat der Vertreter des Hauses
Fugger.“
„Sobald das Geld im Kasten klingt….“
tönte es hämisch von einem entfernten Ende des Tisches.
„Begonnen hat das Unheil damit,
dass unser Heiliger Vater, veranlasst durch gewisse finanzielle Engpässe, nicht
den traditionellen Weg der Kreditaufnahme bei seiner Hausbank in Anspruch
genommen hat, sondern sich mit dem Gedanken trägt, mit dem hoch zu verehrenden
Albrecht Kardinal von Brandenburg den Ablasshandel und das Geschäft mit den
Fuggern noch weiter auszuweiten.
Bald wird Kardinal Albrecht der
mächtigste Kirchenfürst im Heiligen römischen Reich deutscher Nation sein und
die Fugger werden uns italiensiche Banken an die Wand drücken und zwischen
ihren Fingern zerquetschen.
Wie wir hören, soll ein gewisser
Giovanni Tetzel, ein übles Subjekt, ein Schandfleck des hochlöblichen
Dominikanerordens, nur durch die gütige Fürsprache von Kurfürst Friedrich und
Kaiser Maximilian in Innsbruck der wegen Ehebruchs und Spielbetrugs verhängten
Strafe des Ersäufens entgangen, wieder im Geschäft sein. Dieser Mensch, der
sich durch ebenso große Eloquenz wie Verderbtheit auszeichnet, wird die
Marktbearbeitung für die geplanten Ablassaktionen übernehmen.
Verehrte Kollegen, wir die hier
versammelten Repräsentanten der italienischen Banken, dürfen es nicht soweit
kommen lassen. Fugger darf nicht die Herrschaft über die Finanzmärkte der Welt
erhalten.“
Den Sätzen Ursettis folgte
allgemeines und zustimmendes Gemurmel.
„Was schlagt Ihr vor, lieber
Ursetti, habt ihr eine Lösung für unser Problem?“ rief Giuseppe Agricola in die
Runde, der als Vertreter der größten Bank der Schweizer Eidgenossenschaft an dem
Treffen teilnahm.
Usetti, der bislang stehend
vorgetragen hatte, setzte sich auf den Stuhl an der Kopfseite des Tisches.
„Was ich Euch jetzt sage liebe
Freunde, ist der einzige Weg zur Rettung. Es geht um Überleben oder Untergang.
Niemals darf das, was ich Euch jetzt als Rettungsweg aufzeigen will, der Plan
den wir in den nächsten Minuten vielleicht beschließen werden, diese Räume
verlassen. Es muss ein Geheimnis bleiben für alle Zeiten, ein Geheimnis unter
Männern, die aufgrund ihres Berufstandes und ihrer Berufung Geheimnisse zu
wahren wissen.
Wie ihr seht haben sich auch hohe
geistliche Herren unserer vertraulichen Runde angeschlossen. Giovanni Kardinal
Medici, der Sohn von Lorenzo des unvergessenen Wohltäters unserer Stadt
Florenz, er ist Ihnen allen wohlbekannt. Nicht unbekannt ist Ihnen auch der hochgelehrte
Professor Johann von Staupitz, erster Gründungsprofessor der Universität
Wittenberg und Generalvikar der Deutschen Kongregation des Augustinerordens.
Seine Visitationsreisen führten ihn bereits mehrfach nach Florenz und Rom und
wie ich weiß ist er auch mit den meisten von Ihnen persönlich befreundet.“
Rund um den Tisch konnte man
wiederum zustimmendes Nicken und kurze aber ebenso freundliche und anerkennende
Gesten und Blicke beobachten.
„Unser Plan, den ihnen Professor
Staupitz gleich näher erläutern wird, soll folgendes Ziel haben: Die
Austrocknung des Kapitalflusses aus dem Ablasshandel für das Haus Fugger.
Lieber Giovanni darf ich Dir hiermit das Wort erteilen.“
Staupitz erhob sich von seinem
Platz und mit tiefer wohltönender Stimme, die durchaus seinem Leibesumfang
entsprach, ergriff der Ordensmann das Wort:
„Meine Herren, wie Ihnen er
erlauchte Kardinal Medici bestätigen kann, ist unter uns Theologen der
Ablasshandel ebenso umstritten, wie in den Kreisen der Bankiers das
Geldverleihen gegen Zinsen.“
Allgemeine Heiterkeit am Tisch.
„Um jedoch das Haus Fugger vom
Geldfluss abzuschneiden, müssen wir den Ablasshandel aus kirchlicher und
ökonomischer Sicht betrachten. Der
Ablass, also der Wegfall von zeitlichen Höllen- oder Fegefeuer-Strafen ist
keine ideeler oder besser gesagt, abstrakter oder mystischer Wert. Er ist ein
Gut im Sinne marktökonomischer Betrachtung. Alles was dem Menschen die
Befriedigung eines Bedürfnisses verspricht, wie Nahrung bei Hunger oder ein
kühler Trunk bei Durst, ein Bett bei ermattender Müdigkeit oder gar ein Orden
oder ein Titel bei dem Bedürfnis der Selbstdarstellung ist ein Gut. Güter in
diesem Sinne sind wie Waren, sie haben einen Wert, einen Preis, den man bereit
ist, dafür zu bezahlen. Es entsteht eine Nachfrage nach diesem Gut und wenn der
Preis stimmt, dann entsteht auch ein Angebot.
So ist es mit dem Ablass. Durch die Predigten der Ablasshändler wie
Tetzel wird die Angst der Menschen vor den Qualen des Fegefeuers und der Hölle
in einer Weise und Schnelligkeit geschürt, wie selbst der dreimal geschwänzte
Satan seine Hölle nicht anheizen kann. Diese Angst weckt den Wunsch, sich vor
diesen Strafen zu schützen und Seele und Leib vor dem Feuer zu bewahren. Der
Bedarf ist geweckt. Nun braucht es nur das Gut, das die Befriedigung dieses
Bedürfnisses verspricht und schon ist der Markt entstanden.
Das hier erwähnte Gut, die
angesprochene Ware ist – wie Sie edle Herren unschwer erraten haben -der
Ablassbrief. Der Mensch kauft diesen
Brief, sieht als Gegenwert für die gezahlte Summe seine Seele gerettet und alle
sind zufrieden. Anders als bei einer gekauften Kuh oder einem Paket Kerzen muss
die Güte der Ware nicht auf Erden erprobt werden, sondern der Nutzen des Kaufes
ist in die künftige bessere Welt, die Gnade und Liebe unseres Herrn und Heiland
übertragen. Ein Geschäft von dem alle einen Gewinn haben.“
„Besonders das Bankhaus Fugger“
brummte ein bärtiger Bankier aus dem nahegelegen Siena.
„Also müssen wir den Ablass als
Gut wertlos machen!“ Der Schweizer Agricola hatte den Sinn der Rede von
Staupitz verstanden.
„Natürlich können Sie als
Bankleute hier nicht tätig werden,“ ergriff Kardinal Medici das Wort, „ebenso
wenig kann natürlich die heilige Mutter Kirche ein Institut, das sie selbst ins
Leben gerufen und an ihrer Brust genährt hat, ohne weiteres in Zweifel stellen.
Aber hören Sie bitte die weiteren Ausführungen des gelehrten Professor
Staupitz.“
„Die Erosion des Ablassgeschäftes muss von
Unten kommen, gleichsam aus der Bevölkerung, aber unterstützt und begründet
durch theologische Weisheit. Wir werden die Dinge im Geheimen so vorbereiten,
dass die allfällige Kritik am Ablassgeschäft, wie zufällig aber doch mit dem
notwenigen Nachdruck unter das Volk gebracht wird. Zu diesem Zweck habe ich einige Gedanken zu
Papier gebracht, die ich Ihnen- ohne Sie an diesem Tag mit theologischen
Finessen zu langweilen - im Überblick darstellen will.“
Der Professor entrollte einige
Papiere in lateinischer Sprache.
„Falli ob id necesse es maiorem
partem populi per indifferentem illam et magnificiam pene solute promissionem.
Punkt 24, „rief Agricola nachdem er den Text überflogen hatte, „daher muss der
größte Teil des Volkes betrogen werden, wegen des gemachten Versprechens,
gleichgültig was einer bezahlt hat. Das gefällt mir gut. Da werden die Fugger
unglaubwürdig.“
„So gibt es insgesamt 95
Argumente gegen den Ablasshandel. Nicht zu viel und nicht zu wenig,“ meinte
Staupitz in etwas selbstgefälliger Bescheidenheit.
„Und jetzt erläutern Sie uns
bitte, wie wir unsere Argumente gegen die Fugger, oder sollte ich besser sagen
gegen den Papst (allgemeines Schmunzeln) verbreiten wollen.“
Im Raum herrschte angespanntes
Schweigen als Staupitz fortfuhr:
„Ich rechne mit einer Vorlaufzeit
von fünf bis acht Jahren. Trotz der notwenigen Geheimhaltung haben wir einige
wichtige Persönlichkeiten unserer Sache versichert. So den Kurfürsten
Friedrich, in dessen Herrschaftsbereich an der Universität diese Argumente
gegen den Ablasshandel veröffentlicht werden sollen, am besten im Zuge einer
akademischen Disputation. Ebenfalls auf unserer Seite ist ein überaus
erfahrener und weltgewandter Geschäftsmann namens Cranach.
Für die heiße Phase unserer
Aktion steht ein von mir bestens ausgebildeter und wortgewaltiger junger Doktorand
zur Verfügung, der in wenigen Jahren durchaus als Professor der Theologie
auftreten kann. Er kommt aus einer gut katholischen gottesfürchtigen Familie
und sein Vater ist in Bankgeschäften durchaus bewandert. So ist dieser Kreditgeber
der Grafen von Stolberg und den Fuggern ebenfalls nicht wohlgesonnen.
Den jungen Mann haben wir bereits
vor einiger Zeit bei uns im Augustinerorden platziert, nachdem er sich zuvor
dem Studium der Jurisprudenz gewidmet hatte. Wegen eines Gelübdes bei einem
Gewitter ist er angeblich Mönch geworden. Um seine Legende endgültig glaubhaft
zu machen, werden wir ihn auch zu gegebener Zeit, mit einer jungen Frau
zusammenbringen, einer hochintelligenten und äußerst klugen Adelstochter, die
in einem Kloster eine erstklassige Ausbildung für diese Aufgabe erhält.“
Die Anwesenden Bankiers schienen
vom Plan durchaus angetan und versicherten sich gegenseitig ihrer unbedingten
Verschwiegenheit in dieser Angelegenheit.
Eine förmliche Abstimmung erschien Ursetti nicht erforderlich. Der Hass
auf die Fugger hatte alle geeint.
„Meine Herren lassen Sie mich
bitte jetzt ihnen den jungen Mann vorstellen, auf denen unsere Hoffnungen
ruhen, die Hoffnungen unserer Bankhäuser, die Hoffnungen des kultivierten
Italiens und die Hoffnungen der Heiligen Mutter Kirche und des Hauses Medici“,
mit einer kurzen und freundlichen Verbeugung zum Kardinal fuhr Ursetti fort,“
unser Freund Staupitz hat seinen Agenten unter dem Vorwand irgendeines
belanglosen Mönchsgezänks nach Rom bestellt.
Unter dem Vorwand einer Erkrankung hat er seine Reise nach Rom
unterbrochen und sich zur Behandlung in das Spital Santa Annunziata begeben.
Von dort konnte er unerkannt bis in dieses Haus gelangen und wartet nun im
Vorraum. Ich werde ihn gleich zu Ihnen bitten.“
Der junge Mann, von angenehmem
Äußeren und einem Auftreten, dass sowohl auf Intelligenz wie auch auf große
Willenskraft schließen ließ, betrat den Raum. Seinen Reisehut warf er mit
sicherer Hand auf den neben der Tür postierten Ständer und stellte sich den
Herren vor:
„Mein Name ist Luther, Martin
Luther“.
Nachwort (nicht postfaktisch):
Im Jahr 1510 hielt sich Luther in Florenz auf.
Am 11. März 1513 wurde Giovanni Medici zum Papst gewählt und nannte
sich Leo X.
Martin Luther stellte am 4. September 1517 seine 97 Thesen als
Grundlage für eine Disputation vor. Im darauffolgenden Oktober veröffentlichte er
die bekannten 95 Thesen zum Ablasshandel.
Das Trienter Konzil ab 1547 brachte den Ablasshandel zum Erliegen, der
1567 von der katholischen Kirche offiziell verboten und mit der Strafe der
Exkommunikation belegt wurde.
Luther wurde zum protestantischen Reformator und heiratete Katarina von
Bora. Mit Johannes von Staupitz, der sein Leben als kirchentreuer Katholik und Abt
des Benediktinerklosters St. Peter in Salzburg beschloss, blieb Luther ein
Leben lang befreundet.
Staupitz wird ein Zitat aus dem Jahr 1521 zugeschrieben, in dem er
behauptet, dass Luthers Lehre nicht von Luther stamme.
Die Geschichte der Bankhäuser Fugger und Medici ist bekannt und braucht
hier nicht wiederholt zu werden.
Die geheimen Geschäftsbücher und Aufzeichnungen der Medici Bank, die erst vor wenigen Jahren in einem Archiv in Florenz entdeckt wurden, enden jedoch mit Jahr 1510. Sie wurden bis heute nicht aufgefunden und werden in den verschlossenen Archiven des Vatikans vermutet.